Teil 5: Freunde teilen alles
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Eine hektische Woche neigte sich dem Ende zu. Siegfrieds Praxis schien aus den Nähten zu platzen. Karin arbeitete wie eine Besessene an ihrem Vortrag "Mit Astral-Müsli zum multiplen Orgasmus", den sie am Wochenende auf einem Frauenworkshop halten sollte. Das neue Mitglied der Familie, der kleine Waldi, hatte sich schon gut eingelebt, aber seine heiklen Verletzungen erforderten viel Fürsorge. Das Ehepaar lag oft abends noch lange wach und diskutierte auf dem breiten roten Futon darüber, wer solch schreckliche Verbrechen an dem possierlichen Dackel mit dem niedlichen wackelnden Schwänzchen fähig sei. Während Siegfried den alten Schmittke verdächtigte, meinte Karin, daß sie auf den Dorfklatsch nichts gäbe. Es könne schließlich auch der Hund der Nachbarn, ein unberechenbarer und etwas vernachlässigter Boxermischling gewesen sein.
Doch nun war endlich Samstag und ein lange geplanter Abend mit seinem guten alten Freund Frank lag vor Siegfried. Ein fröhliches Lied auf den Lippen, fuhr er, die Verkehrsregeln großzügig auslegend, gen Berlin. Gisela, eine Jugendfreundin von Karin, hatte die beiden zu einer Vernissage in ihrer neuen Galerie eingeladen. Frank wartete bereits vor der ehemaligen Fabrikhalle. Seinem Gesicht war unschwer zu entnehmen, daß ihn etwas grämte. Siegfried wußte sofort: Daran konnte nur eine Frau schuld sein! Er legte wortlos den Arm auf seine Schultern und beide betraten die Ausstellung. Noch bevor sie sich in eine ruhige Ecke zu einem Gespräch unter Männern zurückziehen konnten, wurden sie von der Gastgeberin mit einem schrillen "Hallo!" begrüßt. Gisela hatte den Erfolg ihrer Neueröffnung bereits kräftig mit Prosecco gefeiert. Während Siegfried die üblichen Floskeln austauschte, betrachtete Frank geistesabwesend sein smartes Spiegelbild in der roten dickumrandeten Nina-Ricci-Brille der Gastgeberin.
Erst nach dem dritten Glas Sekt hatten sie Gisela abwimmeln können und sich auf einem gemütlichen Sofa niedergelassen. Um sie herum schienen sich alle prächtig zu amüsieren, nur Frank machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. "Manuela hat mich wegen einem schnöseligen Musik-Fuzzy verlassen!" brach es aus ihm hervor. "Stell Dir vor, er ist Manager der Heavy-Metal-Band 'Morbid Chicken Fuckers'!"
"Ach Frank, ich habe die ganze Zeit gewußt, daß dieses blonde Gift nichts für Dich ist, aber bei Deinen Frauengeschichten läßt Du Dir ja nicht reinreden!"
"Du hast ja Recht, zum Glück hat sie nach diesem Malheur mit dem Verhüterli die Pille danach genommen, ein Kind hätte alles noch viel komplizierter gemacht. Aber sag doch mal, was kann ihr dieser Rocker-Typ bieten, was sie bei mir nicht findet?" Die nächsten zwei Stunden erörterten die beiden Freunde die Schwierigkeiten männlicher Sexualität unter dem Aspekt des Leistungsdrucks. Bei Sekt Numero acht kamen sie zu dem Schluß, daß hinter dem Mythos des Längenmaßes eine weibliche Verschwörung stecken müsse. Die Größe sei bestimmt nicht das entscheidende. Sie als Ärzte müßten das wissen. Im Moment dieser Erkenntnis gesellte sich die schon etwas derangierte Gisela zu ihnen. "Liebste Gisela, Du als Vertreterin des schönen Geschlechts" fragte Frank mit schwerer Zunge, "Wie lang muß ER sein?" Mit einem milden Lächeln erläuterte sie die Auswahlkriterien für ihre private Dildosammlung, die einige durchaus prächtige Exemplare aufwies. Siegfried unterbrach ihre Ausführungen protestierend: "Aber das kann doch nicht alles sein, wictig ist doch, daß man sich liebt!" - "Sicher, sicher" pflichtete sie ihm mit beruhigender Stimme bei.
Nach dem zehnten Glas Sekt hörte Frank auf zu zählen. Giselas Kopf ruhte auf seiner Schulter, während ihre Hand Siegfrieds Schenkel tätschelte.
Erbarmungslos schien die Sonne in Franks Schlafzimmer. Siegfried schob die schwarze Satinbettdecke zur Seite. Ihm war heiß, sein Kopf dröhnte und die Luft war stickig. Erstaunt bemerkte er einen warmen Frauenárm auf seinem nackten Oberkörper. Sein Blick schwenkte schwerfällig nach rechts auf den neben ihm liegenden Leib. Mit aufkeimenden Entsetzen erkannte er die dicke rote Brille und das zugehörige Gesicht. Es war Gisela, die friedlich zwischen ihm und Frank schnarchte.
Was war letzte Nacht geschehen? War es zum äußersten gekommen? Was würde Siegfried Karin von dieser Nacht erzählen? Würde es diesmal endlich ofenfrische Croissants zum Frühstück geben?